Dr. Jürgen Fitschen
Die Widersprüchlichkeit des Daseins. Plastiken von Wiking Bohns
Der doppelgesichtige Kopf des Janus, des altrömischen Gottes des Anfangs und der Torbögen, Beschützer des Ein- und Ausgangs, bildet den kleinen Zyklus von Plastiken, die das künstlerische Anliegen von Wiking Bohns anschaulich darlegen: Sie handeln von der schwierigen Balance zwischen den im Menschen selbst angelegten widersprüchlichen Eigenschaften und Bestimmungen, etwa seiner inneren seelischen Verfasstheit und seiner äußeren Erscheinung , seinem Wollen und den Grenzen seines tatsächlichen Vermögens, seinem Geist und seinem Körper. Wenn die Verbindung von Innen und Außen, von wahrhaftigem Sein und aufgesetztem Schein, von Geist und Fleisch im Januskopf von Bohns als wulstige Kabel (Januskopf 3) erscheinen, die Gewaltsam - nicht ohne Wunden zu hinterlassen - den Köpfen implantiert worden sind, dann spricht daraus der Zwang dieser Gegensätze, der auf den Menschen einwirkt. Aus den Häuptern einer anderen Janusfigur ragen Glieder wie fleischige Schlote heraus, die an den Ausgängen bluten (Janus II). Sie weisen auf ein anderes Motiv hin, den des Triebes, der in unserer Zeit vielfältig versucht wird und sowohl als Fessel wie auch als Befreiung des Geistes erlebt werden kann. Das Zwanghafte, Widersprüchliche des Daseins und die daraus erwachsende Not des Menschen sind Grundthemen aller seiner Plastiken.
Die Werke des Januszyklus ́ erregen Aufmerksamkeit durch die Wahl drastischer Darstellungsmittel. Auch andere, mit dem Titel „Gender“ bezeichnete Kleinplastiken bedienen sich dieses Mittels, wenn nämlich diese drei Beine zeigen und einen Schopf aus langen Haaren tragen, der befremdend wirkt (Big Gender I, 2000). Sie können ohne weiteres einem merkwürdigen Traum entsprungen sein, über den wir uns beunruhigen sollten, und bilden eigenartige Faszienosa, die gleichermaßen das Gefühl von Anstoßen wie von Anziehung evozieren.
Aber es gibt auch andere, die feinere Töne anschlagen. Auf leisere Art und Weise, doch bei genauerem Hinsehen ebenso verwirrend, sind die Engelsfiguren. Deren Gestalt und traditionelle Ikonographie werden lediglich im sinnfälligen Attribut, dem der Flügel, ummittelbar anschaulich. Sie werden offenbar als Mischwesen aufgefasst - halb Fleisch, halb Geist, und treten als amorphe flüchtete Substanzen in Erscheinung. Mit herkömmlichen Putten, Genien oder anderen ungeschlechtlichen Menschengestalten, die in der Kunstgeschichte als himmlische Wesen bekannt gewordenen sind, haben sie kaum etwas zu tun. In der Leere ihres Inneren - die Engelsfiguren sind hohl sowie oben und unten offen - geben sie sich als unkörperliche Geschöpfe zu erkennen, als die sie stets betrachtet wurden - sogar dann, wenn sich die Theologie erbittert über die Natur der Engel stritt. Stofflos und amorph sind sie also - und dennoch schimmert an der Oberfläche der Figuren die Ahnung eines Antlitzes durch, von dem man annahmen muss, es beobachte den Betrachter oder verfolge ihn gar mit seinen Blicken.
Die Verwendung von farbiger glasierter Keramik für diese Engelsfiguren scheint recht geglückt, weil diese Technik in besonderer Weise geeignet ist, den Eindruck des Flüchtigen hervorrufen, das amorphe Erscheinungsbild der ungleichmäßigen Oberfläche zu unterstützen und den Eindruck einer gewissen Kühle zu erzeugen, die etwa die matte Oberfläche eines farbigen Gipses nicht so vermitteln könnte. Jene schimmernde und glänzende Kühle der Haut ist ebenso charakteristisch für die Werke von Wiking Bohns wie die Farbigkeit seiner Schöpfungen. Von der Farbe spürt man, dass sie für ihn größere Bedeutung hat, als reine Bildhauer ihr gemeinhin zumessen.
Wiking Bohns kommt aus der Malerei. Davon zeugen insbesondere die Torsi, die eine Hommage an Schriftsteller und Künstler sind. So heißen sie „Claude“ nach der Französinchen Fotografin Claude Cahun, die mit exzentrischen Fotografien, zumeist Selbstporträts, in den 30er Jahren die existentialistische Gesellschaftskritik der Nachkriegszeit vorwegnahm. Als „Larney“, nach einer Gestaltet aus der Erzählung der amerikanischen Schriftstellerin Joyce Carol Oates, ist eine weitere ungewöhnliche Figur bezeichnet. Diese Torsi weisen, wie die gemeinen Exemplare dieser besonderen Bildhauerischen Aufgabe, Versehrungen an Gliedmaßen und Kopf auf. Sie sind jedoch keine Akte, sondern Gewandfiguren, und lassen den künstlerischen Einfluss der Berliner Studienjahre bei Leiko Ikemura erkennen. Einer der Torsi zeigt einen weiblichen Körper von der Hüfte bis zu den Schultern, gewandet in ein eng anliegendes blutrotes Kleid, ein anderer lediglich einen Oberkörper, gekleidet in ein Hemd, das mit Fäden so verschnürt ist, wie ein Chirurg mit Stichen eine Wunde näht. Darunter ist nicht etwa ein weiteres Kleidungsstücke sichtbar, sondern wundes Gleich - so als handele es sich bei dem Hemd selbst um die menschliche Haut.
Hintersinnig und nicht ohne eine gewisse ironische Note präsentieren sich die kleinen Werke von Wiking Bohns: Die Figur „Ferrari“ zeigt eine überdrehte und grotesk verformte menschliche Gestalt und nimmt so das bizarr überspitzte Interesse an Statussymbolen wie Sportwagen des legendären Autobauers aufs Korn. Eine kleine hockende Figur trägt statt eines Kopfes einen Trichter auf den Schultern und hat Löcher auf dem Rücken: beide Motive wohl Hinweise auf den Charakter der modernen Massenkommunikation, die den Menschen heute möglichst unmittelbar mit Informationen anzufüllen und zugleich anzuzapfen sucht. Die Widersprüchlichkeit des Daseins ist gegenwärtig besonders fühlbar. An den Figuren von Wiking Bohns kann man sie bald in fremdartiger, bald in einprägsamer Zuspitzung kennen lernen.